CorInterviews

CorInterviews in Alt-Hohenschönhausen

Auf den Straßen sieht man vermummte Gesichter, lange Schlangen vor Lebensmittelläden und Apotheken. Unheimliches Sicherheitspersonal erinnert an den einzuhaltenden Mindestabstand und sprüht einem freundlich Desinfektionsmittel ins Gesicht! In den Medien spricht man nur über das Virus und die vielen Infizierten und Toten… Was für ein Schrecken! Der Gute Pol will es genau wissen, traut sich in die Öffentlichkeit und fragt nach, wie echte Menschen mit der Pandemie umgehen und ob wirklich alles so schlecht ist, wie es vermittelt wird.

30. April 2020

DER GUTE POL – Ball ‘n‘ Roll!

Ein Tag des Lichtblicks. Die Ausgangsbeschränkungen sollen nach 45 Tagen nun endlich gelockert werden. Wie erleben und verkraften die Menschen die beschränkenden Maßnahmen der Corona-Krise bislang? Gibt es mehr Konflikte unter Nachbarn? Oder bleibt alles ruhig? Und wie sieht es mit dem öffentlichen Leben aus? Hat jeder genug Masken? Wird die soziale Distanz ernst genommen und umgesetzt? Und wie haben sie’s mit der Religion? Glauben die Menschen überhaupt noch an Corona? Die Spielplätze werden jedenfalls ab heute wieder geöffnet – zumindest in Lichtenberg. In Friedrichshain, Mitte und teilweise auch in Pankow bleiben sie noch geschlossen. DER GUTE POL zeigt Solidarität mit diesen Bezirken und spielt außerhalb Lichtenberger Spielplätze: Tischtennis. Kein großes, aber doch immerhin Tischtennis! Auf Rike dem Bike, unserem Kistenrad; mit Brett und net(t).

Halt! Nur echt mit Schild!

House- und HipHop-Beats tönen aus unserer Box und so streifen wir bouncend durch das südliche Alt-Hohenschönhausen. Thomas auf der Rike und Fabian schultert lässig unser Haltestellenschild – falls wir Halt machen, dann nur mit Haltestellenschild – ist doch klar. In der Reichenberger Straße stoßen wir schon auf erste Freunde – und Helfer. Eine pausierende Polizeistreife blickt argwöhnisch. Einer der Freunde interessiert sich, ob das Schild ein „echtes“ sei. Die Frage verwundert uns. Löst Corona Halluzinationen aus? „Natürlich ist das ein echtes Schild“, beruhigen wir die zwei Beamten, die ohne Atemschutzmaske eine Zigarette rauchen. „Bitte berühren sie es und lassen sie sich von ihren Sinnen überzeugen.“ Nach einer kurzen Begutachtung dürfen wir weiterziehen. Ob unsere Freunde noch mit uns spielen? Es hilft nichts, für eine Runde Tischtennis haben sie leider keine Zeit. Schade.

Nachbarschaft am Allee-Center Berlin. Man muss sich schon riechen können

Den ersten Halt machen wir am Allee-Center Berlin, dort wo der Brunnen nicht plätschert und die Tram unentwegt Gäste ausspuckt. Wir bauen unser Set auf und schon nach wenigen Minuten kommt ein echter Mensch auf uns zu. Er heißt Davidson und wohnt im Punkthochhaus gleich nebenan. Wir laden ihn zu einer Partie Tischtennis ein. Seine fröhliche Ausstrahlung ist ansteckend und wir haben viel Spaß! Ping! Dadam! Pong! Didum – gar nicht so einfach auf so einem Brett.  Ständig schielt Davidson auf unser portables Netz und will wissen, wo wir das herhaben, damit er eins für sich und seinen Sohn kaufen könne, doch wir bleiben bei der Sache: Wie erlebt er die Maskenpflicht, die soziale Distanz und das vermehrte Daheimbleiben von Kindern und anderen Nachbarn? Eine überzeugter Coronist ist er nicht, gibt er zu erkennen. Keine Schutzmaske. Wir haben ausleihbare Exemplare dabei. Aber er lehnt ab. Die Krise mache sich dennoch bemerkbar. In seinem Haus mischen sich viele Kulturkreise und rücken seit den einschränkenden Maßnahmen noch näher zusammen. Für mehr Verständnis hat das jedoch nicht gesorgt. Im Haus ist es nämlich seither viel lauter geworden. Und auch belästigende Gerüche bemerkt er. Es stinkt in seinem Haus und er meint, das käme von den „Pennern“. Entschleunigung. Können Obdachlose derzeit auch weniger unterwegs sein?

 
 

Jeder kann einen Tischtennisball tanzen lassen!

Wir beschließen weiter zu fahren und halten vor dem Tanzverein Berliner Funken an der Zechliner Straße. Der Verein hat zu, aber der Spruch auf den Fenstern ist offen und animiert, die Beine zu schwingen: „Tanzen… ist Träumen mit Beinen“. Hier sind wir mit Musik und Tischtennis genau richtig! Wir stehen mitten auf dem Weg und die Leute vor Ort sind entsprechend gesprächig, wenn auch eher tanz- und spielfaul. Egal. Unser erster Mitspieler heißt Achmed. Tischtennis hätte er noch nie gespielt, aber er nimmt die Herausforderung an. Er schlägt seine ersten Bälle und wird zusehends besser. Wir freuen uns über sein entgegengebrachtes Vertrauen und nach einigem Ping und Pong kommen wir zum Thema. Unsere erste Frage zielt auf seine medizinische Religion und soziale Herkunft ab. Er ist gläubiger Coronist und kommt aus einem nahegelegenen Hohenschönhausener Hochhaus, bekennt er. Seine Freunde und Verwandten umarmt er indessen weiterhin. Er habe nicht die Befürchtung, an Corona zu erkranken. Mit seiner älteren Mitbewohnerin verstehe er sich prima und seine weitere Nachbarschaft verhielte sich ruhig. Er freue sich schon auf die Wiedereröffnung der Friseure, da er seinen Haarschnitt als ungepflegt empfindet. Ein Zausel ist er nicht, doch ein bisschen mehr Kontur könnte nicht schaden. Ab Montag sind die Friseurläden ja wieder offen. Da wird Termindruck vorherrschen. Aber Achmed hat Zeit. Seit einem Monat ist er wegen der Corona-Krise arbeitslos. Zwar hat er kein finanzielles Problem, doch ihm ist langweilig! Seine Zeit vertreibt er sich mit Filmen und Handygames. Und neuerdings auch mit Tischtennis.

Menschenskinder! Endlich wieder draußen spielen!

Unsere nächste Gesprächspartnerin heißt Michaela, ebenfalls aus Hohenschönhausen. Auch sie ist überzeugte Coronistin und blieb zu Hause! Mit uns Tischtennis spielen würde sie gerne. Ihr dreijähriger Sohn, der aufgeregt über Stock und Stein peest, ist nach der ganzen Hausarrestzeit jedoch einfach zu sehr auf Trab und genießt es, durch die Parkanlage zu wuseln. Der Zustand war und ist für alle furchtbar, erzählt sie uns. Sie merke es besonders an dem Verhalten ihres Sohnes. Seit 45 Tagen hat er keinen Kontakt zu anderen Kindern! Michaela freut sich über die neueröffneten Spielplätze und wünscht auch den anderen Bezirken eine baldige Wiedereröffnung. Das wünschen wir auch.

 
 

Netz ist nicht gleich Netz

Der Mensch ist kein Mensch, wenn er nicht seinesgleichen begegnen kann. Im Internetz mag man den Zustand der Ausgangsbeschränkung einige Zeit überbrücken können, doch wahres Leben findet am echten Netz statt. So wie an unserem Tischtennisnetz. Ping und Pong! Vom Ich zum Du. Pong und Ping!

Vom Du zum Ich. DER GUTE POL – Vernetzung in Alt-Hohenschönhausen.  

16. April 2020

 

Was machen die Leute so? Sind ja besondere Zeiten. Geht es ihnen gut oder nicht? Kann oder darf man derzeit glücklich sein? Hat hier wer Corona oder immerhin Angst davor? Als DER GUTE POL gehen wir davon aus, dass die Menschen gerade jetzt auch etwas geben möchten. Was können sie für Andere beitragen? Was können Sie Ihnen wünschen? Haben Sie eine Weisheit auf Lager? Oder ein flottes Lied? Oder einen Witz oder ein Gedicht?

Wir passen zunächst Leute vor der Bäckerei Rauch in der Sandino/ Ecke Küstriner Straße ab. Dort steht eine kleine Käuferschaft in gebührender Entfernung voneinander Schlange. Die nimmt nicht so schnell Reißaus, wenn wir wie zwei Zeugen Jehovas aus den 70ern daherkommen.

Gisela (76 oder älter) aus der Küstriner Straße hat keine Angst „Nein, nein!“ Sie kann gut mit der Situation umgehen. Ihr Tipp: „KEINE PANIK! Ruhig bleiben!“

Und Anette (42) aus Lichtenberg? Hat sie Angst? „Nicht direkt.“ Na, immerhin! Man müsse in der jetzigen Zeit vorsichtig miteinander umgehen, sagt sie. Und korrekt ist: „Abstand halten! Mindestens 1,5 Meter Abstand halten!“ …mit Abstand der konkreteste Vorschlag bisher… Weil das so schön ist, geben wir mal eben ein paar Verse zum Besten, damit das mit der sozialen Distanz nicht noch falsch verstanden wird:

Alles ist sodann gefunden:
Ich bin dein, und du bist mein;
Und so stehen wir verbunden,
Dürft es doch nicht anders sein!
(Faust, Der Tragödie zweiter Teil, dritter Akt)

Wir gehen weiter und treffen Daniel (ca. 45), Maja (höchstens 14) und Dijana (10?). Dijana vermisst ihre Freunde und die Schule. Mehr die Freunde. Wir empfehlen „Schulfreunde“ zu sagen, sodass die Schule etwas näher rückt. … verhaltenes Lachen … Maja geht es ähnlich, sie hätte gerne wieder Schule! Daniel meint, glücklich könne man jetzt nicht unbedingt sein, aber alles wäre angenehm entschleunigt. Gerade ihm täte das gut. Dank Corona haben wir wohl einen viel beschäftigten Menschen getroffen. Jemand, den man sonst nicht sieht… Einen flotten Spruch hat wieder keiner auf Lager. Macht Corona unspontan? Also wir wieder:

Es flog ein Stein so weit, so weit –
und hatte doch kein Federkleid!
Es war ihm ja zu gönnen.
Indessen rechte Seltsamkeit,
dass Steine fliegen können!
(Morgenstern, Problem)

Ab in den Park! Ui! Eine Menschentraube! Sechs Homo sapiens und ein Hund! Am Schäferplatz. Aber alle hübsch mit Sicherheitsabstand (außer der wuselnde Hund). Wir platzen ins Geschehen und genießen die Aufmerksamkeit von Olaf, Sabrina, Dirk, Manuela, Klaus und Henri (zw. 50 und 70): Keiner hat Corona; das wird beteuert. Angst hätte auch niemand. Manuela ist glücklich. Sie trifft sich – Achtung! Wortspiel – in regelmäßigen Abständen mit ihrer Freundin, tauscht sich aus, geht bis zu acht Mal mit ihrem Hundchen runter und mit ihrer Familie teilt sie diese „Face Time“. Einmal kullerten Tränen, weil sie ihre Enkeltochter nicht sehen kann. Olaf vom BFC Dynamo fährt Nachbarskinder zum Training (darf man das?) und erledigt Einkäufe für Ältere aus dem Haus (darf man!), dabei ist er selbst ein Älterer… „Die Politiker sollten endlich die Wahrheit sagen!“, tönt es seitlich von Klaus. Keiner spreche von den tausenden Influenza- und Verkehrstoten, die monatlich von uns gehen. Immer nur Corona. Man macht sich in der Runde Gedanken, ob die staatlich verordneten Schutzmaßnahmen es wert wären, die Wirtschaft so stark zu schädigen. Einige Kleinunternehmer hätten sich schon das Leben genommen, weil sie nicht mehr weiterwussten. Und wenn ein Motoradfahrer stirbt, der Corona hatte, gilt er als Coronatoter. Und wie ist das bei nicht-christlichen Religionsgemeinschaften? Dürfen die etwa zusammen sein? Reagiert da jemand? Aber wenn sich wie hier ein paar Menschen treffen, würde die Polizei das wohl auflösen. Es dreht sich um Transparenz und Gerechtigkeit… Unübersichtlich und auch gruselig, was derzeit geschieht. Darauf einen Morgenstern:

Der Flügelflagel gaustert
durchs Wiruwarowolz,
die rote Fingur plaustert,
und grausig gutzt der Golz.
(Morgenstern, Gruselett)

In der Große-Leege-Straße scheint die Sonne auf den jungen Mann Andrey, der in der Neustrelitzer Straße wohnt. Andrey ist Programmierer, kommt nicht aus Deutschland und spricht lieber auf Englisch mit uns. Afraid ist er nicht. Er hopet natürlich, dass er nicht infiziert ist. Who knows? Aufgrund der curfew ist er jetzt the whole time zu Hause bei seiner Frau. Als Programmierer kann er natürlich prima im homeoffice arbeiten. Seine Welt is ohnehin das WWW. Da wird ihm not langweilig. Das Schauspielhaus überträgt concerts und for seine Freunde nutzt er ganz viel Facebook. Alles good, so weit.

Kritischer sieht das Thameur (47) aus der Simon-Bolivar-Straße. Zwar hat er keine Angst, aber es ist langweilig. Zwei Mal geht er täglich in die Bäckerei Rauch, um sich die Zeit zu versüßen. Er ist Integrationserzieher in einer Weddinger Schule. Da arbeitet er jetzt eingeschränkt im Rahmen der Notbetreuung. Richtige pädagogische Arbeit lässt die Zeit aber nicht zu. Es fehlen die sonstigen Kontakte. Echte Kontakte. Psychologisch sei die Pandemie eine große Herausforderung. Die Kinder, die nicht notbetreut werden, sind die ganze Zeit daheim. Auch sein Kind ist die ganze Zeit zu Hause. Die Menschen müssten lernen, sich selbst steuern zu können. Selbstregulation – aber wo in dieser Gesellschaft lernt man das? Es ist Lernzeit – für eine ganze Gesellschaft. Thameur legt den Finger in die Wunde: Jahrelang galt die schwere Arbeit in pflegenden, sozialen und medizinischen Berufen als selbstverständlich und wird unterbezahlt. Jetzt beginne man umzudenken. Wertschätzung. Es geht um Wertschätzung, betont er.

Aha!

Virus, Virus, Virus, Virus, Virus, Virus